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Joshua

„Joshi.“ Eine Hand legte sich leicht auf seinen Arm.

Joshua unterdrückte den Impuls, die Berührung abzuschütteln, und drehte sich um. Er ahnte, was nun folgen würde. „Kim“, stellte er fest. Besorgt registrierte er den hasserfüllten Blick, mit dem sie Gwendolin musterte. Bereits als sie zusammen waren, konnte sie die Eifersucht auf seine beste Freundin schlecht verbergen. Diese Abneigung hatte sich mittlerweile zu extremer Feindseligkeit gesteigert. Auf beiden Seiten, auch wenn sich Gwendolin bemühte, ihre Vorbehalte nicht zu zeigen.

„Können wir alleine sprechen?“, fragte Kim betont lässig. „Ohne sie?“

Joshua warf Gwendolin einen entschuldigenden Blick zu, woraufhin sich diese schulterzuckend auf den Weg zum Klassenzimmer machte.

Kim fuhr mit den Fingern über seinen Oberarm. „Wegen uns …“, begann sie in vertraulichem Tonfall.

„Sorry, Kim“, unterbrach er sie ruppig. Seit ihrer Trennung am letzten Wochenende war kein Tag vergangen, an dem Kim nicht versucht hätte, ihn zurückzugewinnen. Bisher hatte sie seine Ablehnung stets mit einem milden Lächeln zur Kenntnis genommen, das deutlich Du wirst zur Vernunft kommen ausdrückte. Diese Reaktion machte ihn rasend. „Keine Chance.“

„Vor einer Woche war noch alles gut“, hielt sie ihm entgegen. „Deine Gefühle können nicht plötzlich verschwunden sein.“

„Kim“, flehte Joshua eindringlich. Immer der gleiche Mist. Wenn er es nicht schaffte, sie loszuwerden, würde er niemals Ruhe haben. „Wir waren nur wenige Tage zusammen. Akzeptiere es endlich! Das mit uns war ein Fehler.“

„Du hast dich von mir getrennt, weil mich deine Freunde nicht mögen!“, warf sie ihm verzweifelt vor. Offensichtlich hatte sie nicht mit einer solch deutlichen Zurückweisung gerechnet. „Wieso bist du so abhängig von ihrem Urteil? Besonders Gwendolin konnte mich nie leiden. Sie war von Anfang an gegen uns. Ich war nicht gut genug für dich. Sie hat alle anderen gegen mich aufgehetzt. Alle haben darauf gewartet, dass wir Schluss machen. Sie haben dich dazu überredet! Gib es wenigstens zu!“

Joshua seufzte resigniert. „Das hat nichts mit den anderen zu tun“, wehrte er ab, erinnerte sich dann aber daran, wie Kims Irrsinn seinen Freunden zugesetzt hatte. „Zumindest nicht in erster Linie.“

Kim stieß mit einem zischenden Geräusch die Luft aus. „Ich wusste es!“

Verärgert bemerkte Joshua, dass einige seiner Mitschüler auf dem Gang stehen geblieben waren und die Debatte interessiert verfolgten. Kim nutzte sein Zögern, ging einen Schritt auf ihn zu und hob die Arme. Bevor sie sein Gesicht berühren konnte, hielt er ihre Handgelenke fest.

„Mensch, Kim!“, knurrte Joshua. „Lass das!“

„Joshi“, raunte sie besänftigend, machte aber keine Anstalten, zurückzuweichen. Stattdessen sah sie ihm tief in die Augen. Joshua verkniff sich ein genervtes Ächzen. Er hatte einen riesengroßen Fehler gemacht.

„Du hast dich wie eine Psychopathin aufgeführt“, warf er ihr vor. „Kannst du dir vorstellen, wie schockiert Gwendolin war? Sie schaut zufällig über deine Schulter auf den Laptop und entdeckt, dass du zu ihrer Person einen eigenen Ordner angelegt hast. Mit privaten Informationen, persönlichen Daten und was weiß ich! Kim, das ist Stalking!“

„Ich wollte –“, setzte Kim zu ihrer Verteidigung an, doch Joshua ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Du hast sie über Monate hinweg ausspioniert! Interessen, Lieblingsfilme, Musikgeschmack. Du hast alles zusammengetragen, was es über Gwendolin zu wissen gibt!“

„Sie hätte das gar nicht sehen sollen“, hielt Kim entgegen.

„Kim“, sagte er bemüht ruhig. „Das war einfach zu viel!“

„Aber es hat nichts mit uns zu tun!“, widersprach Kim. „Lass nicht zu, dass sich Gwendolin zwischen uns stellt.“

Mit Schrecken erkannte Joshua, dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde. Zum ersten Mal ließ sie die gleichgültige Maske fallen, die sie seit der Trennung aufgesetzt hatte. Dennoch war es nötig, diese vergebliche Diskussion zu beenden. Kim ließ ihm keine Wahl.

„Du hast sie ständig überwacht. Du bist ihr unbemerkt gefolgt. Du hast sie heimlich fotografiert“, fuhr Joshua äußerlich ungerührt fort, obwohl er Kim am liebsten geschüttelt hätte. Vielleicht waren sogar diese Aktionen an Gwendolins Angstzuständen schuld. „Kapierst du nicht, wie gruselig das ist? Du hast alle total irre gemacht.“

„Alle?“, wiederholte Kim zittrig. „Deine Freunde sind natürlich wieder wichtiger als alles andere.“

„Kim“, bremste sie Joshua, doch sie schien ihn gar nicht zu wahrzunehmen.

„Du kannst mich nicht einfach abservieren“, schluchzte sie hysterisch und wurde dabei zunehmend lauter. „Du musst einsehen, dass wir zusammengehören! Ich liebe dich!“

Joshua schloss kurz die Augen. Dann packte er sie an den Schultern und blickte ihr direkt ins Gesicht. „Schluss damit!“, verlangte er bestimmt. „Lass mich in Ruhe. Lass uns in Ruhe. Du bist mir unheimlich, und dein Verhalten ist hochgradig gestört!“ Er löste seinen Griff, woraufhin Kim zurückzuckte, als habe er sie geschlagen.

„Du bist dir zu hundert Prozent sicher?“, vergewisserte sie sich. Ihre Stimme klang plötzlich so kalt und teilnahmslos, dass Joshua unwillkürlich schauderte.

„Ja“, erwiderte er fest und wandte sich ab.

Während er mit großen Schritten den Flur entlangging, wurde ihm bewusst, wie sehr ihr Publikum innerhalb der letzten Minuten gewachsen war. Egal. Diese peinliche Eskalation hatte sie sich selbst zuzuschreiben. Ohne sich noch mal nach Kim umzusehen, betrat er das Klassenzimmer. Er ließ die Tür hinter sich zufallen und sperrte sowohl Kim als auch seine aufsteigenden Schuldgefühle aus.